„An Tagen wie diesen…“

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Passiert das Leben trotzdem

An Tagen wie diesem hätte ich gerne eine Schulter zum Anlehnen. Jemensch, der mich in den Arm nimmt. Und zwar in Echt, nicht virtuell. An Tagen wie diesen, an den Kurt einfach nicht reicht.

Tage, die schon beim Aufstehen zum wieder ins Bett gehen einladen. So wie heute Morgen.

Um 10.00 Uhr hatten mein Sohn und ich einen Termin bei einer Anwältin in Bayreuth. Ausloten, inwieweit es Möglichkeiten gibt, den Rechtsanwalt haftbar zu machen, der meinen Sohn und indirekt damit auch mich im Prozess um eine mögliche Rückabwicklung vertreten hatte. Rückabwicklung bezüglich eines Hauskaufs, bei dem arglistig schwerwiegende Mängel verschwiegen wurden. Der Prozess endete mit einem Vergleich, Gewährleistungsansprüche gegenüber Handwerkern ausdrücklich ausgenommen.
Kurz darauf wurde uns mitgeteilt, dass Gewährleistung von der Rechtschutzversicherung nicht gedeckt sei und bei Schwarzarbeit nach einem Urteil aus 2016 eh nicht gilt…

Die Anwältin bestätigte zwar, dass die Beratung bestenfalls suboptimal gewesen sei, aber bis zu einer möglichen Haftung sei es ein sehr weiter, sehr schwieriger, sehr steiniger und vor allen Dingen zeitaufwändiger Weg. Und wir wüssten ja „Recht haben und bekommen…“

Ja, ich weiß. Sie zeigte uns drei mögliche Optionen auf doch noch „Etwas“ zu retten. „Etwas“, keinesfalls das Geld, mit dem wir vor und bei Abschluss des Vergleichs gerechnet hatten. Fünfstellig. Alle Anregungen beinhalten ein Gespräch mit dem Rechtsanwalt und Konfliktpotential. Auf jeden Fall wird es das Ende einer über 20-jährigen Geschäftsbeziehung sein. Gut oder schlecht? Wir haben innerlich sowieso schon gekündigt. Ein auf sich beruhen lassen, ist auf keine Option.

Mein Sohn hatte eine andere Antwort erwartet, definitiv, ich nur erhofft. Den Unterschied macht die Lebenserfahrung.

Anschließend der Eklat auf dem Parkplatz. Mein gesundheitlich angeschlagenes Kind kommt mal wieder mit ‚Aufhängen‘ oder ‚gegen eine Brücke fahren‘. Und braust in seiner Wut und Frustration davon. Lässt mich einfach so stehen, nachdem ich mit Vorwürfen überschüttet wurde.

Toll. Da kommt Stimmung auf, auch bei mir. Seine Vorwürfe sind ungerecht, ich finde das Ganze auch nicht toll.

Mein Geld steckt in dem Haus. Meine Zeit und meine Ideen in den Gesprächen mit dem Anwalt. Meine Gesundheit ist auch betroffen. Zweieinhalb Jahre geht das Ganze nun schon, das zermürbt nicht nur ihn. Mir geht es bescheiden, auch wenn mich weder das Ergebnis dieser Beratung noch seine Reaktion überraschen. Scheiß Situation.

Gibt es jemensch, den ich anrufen kann? Will ich das überhaupt? Mir ist zum Heulen zumute, ich sitze erstmal ne Runde im Auto und sortiere mich.

Macht mein Kind ernst? Wenn ich von einer akuten Selbstmordgefahr ausgehe, müsste ich mich um eine Einweisung in einer Klinik kümmern. Wenn ich den Ausbruch aber aufgrund seiner Vorgeschichte nicht ernst nehme, bin ich dann verantwortlich, wenn doch ein Unfall passiert? Hätte ich handeln müssen? Wie lange bin ich als Mutter verantwortlich? Als Mitmensch?

Mal abgesehen davon, dass es sich um mein Kind handelt: Darf ich einem Menschen das Sterben verbieten? Ihn daran hindern? Zu einem Leben im (Un)glück zwingen? Wie weit geht die Selbstbestimmung in Deutschland? Als Frau wird mir das Selbstbestimmungsrecht über meinen Körper abgesprochen. Keine Abtreibung ohne Beratung und über eine Sterilisation als Verhütung entscheiden häufig auch andere.  

Aber mein Kind ist männlich, hat also per se schon die komplette Selbstbestimmung über den Körper. Auch über das Sterben? Gibt es ein richtig oder falsch? Ist jedes Handeln lebensrettend, jedes Unterlassen Suizid fördernd?

Und ja, natürlich macht dieser innere Konflikt etwas mit mir. Wie kann ich mich auf mein eigenes Leben konzentrieren, wenn ich nebenbei noch ein Auge auf seins haben muss? Wann endet die Verantwortlichkeit? Vor mir selbst und der Gesellschaft? Immerhin fast 30 Jahre alt.

Ich habe es bei meinem Mann erlebt, das Sterben durch Unterlassen. Sein Unterlassen. Das nicht zum Arzt gehen, obwohl die Beschwerden unübersehbar waren. Alle Anzeichen nahezu täglich schrien „Hier bin ich!“ Aber meine Worte drangen nicht zu ihm durch. Vielleicht wollte ich es am Ende auch nicht mehr. Ich wollte frei sein, ohne Ehemann leben, der mich einfach nicht freigab. Seinen Tod wünschte ich mir nie!

Und jetzt bei meinem Kind? Anders und irgendwie doch dasselbe. Bin ich herzlos, weil ich mich nicht mehr sorgen möchte? Ein eigenes freies Leben leben möchte, die Last abgeben? Ein ‚weiter so‘ zu keinem glücklichen Leben führt, für niemensch von uns beiden?

Und dann meldet sich an Tagen wie diesen doch tatsächlich nach mehr als zwei Jahren ein Bekannter vom Dating-Portal wieder. Einfach so mit den Worten „Kennst Du mich noch?“ Oh ja, den kenne ich noch, zumindest in der Erinnerung.
Was will er von mir nach der langen Zeit? Welche Erinnerungen hat er an mich, dass er sich wieder meldet? An diesem Tag, an dem ich vor Stunden jemanden zum Kuscheln gebraucht hätte. Karma? Oder einfach ein Tag wie jeder andere?