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25. Mai 2025im „Ayla Richter Froschkönigin Award“
Es war einmal eine Fröschin, die in einem alten Brunnen lebte. Tagaus, tagein, saß sie im trüben, dunklen Wasser und wartete. Auf was eigentlich? Immer wieder sah sie morgens die Sonne aufgehen, kaum, dass das Licht den Grund des Brunnens erreichte und abends wieder untergehen. Tristes Leben. Eher ein vegetieren. Aber dann kam der alles entscheidende Tag, der Tag, der ihr Leben für immer verändern sollte.
An diesem Tag spielte der Prinz schon am Vormittag in der Nähe des Brunnens, vermutlich mal wieder den Hauslehrer geschwänzt oder gar hitzefrei. Egal, es spielt für den Fortgang der Geschichte keine Rolle.
Der Prinz spielt am Brunnen. Sein heißgeliebtes Spielzeug, der neue Fußball, fällt in den diesen. Platsch. Fast hätte der Fußball die Fröschin getroffen. So wurde sie nur beim Dösen gestört. Sie blinzelte, schaute die Brunnenwand hinauf und erblickte den jungen Prinzen. Er schien mit sich zu kämpfen, denn seine Oberlippe zitterte bedenklich. Und waren das da Tränen in seinen Augen? War das der Moment, auf den sie sooo lange gewartet hatte?
Sie schwamm nach oben, näherte sich dem Brunnenrand und damit dem König in spe. „Was gibst Du mir, wenn ich Dir Dein Spielzeug wiederbringe?“ Der Prinz blickte auf, schaute sich um. Weit und breit kein Mensch zu sehen. Wer sprach da mit ihm? Er beugte sich näher zum Brunnen und zuckte erschreckt zurück. Huch, was saß da für eine fette alte Kröte. Hätte er in Biologie besser aufgepasst, hätte er eine Fröschin erkannt.
„Was gibst Du mir, wenn ich Dir Deinen Fußball wiederbringe?“ Der Prinz zögerte keinen Moment, seine Antwort kam, wie aus der Pistole geschossen: „Alles, was Du willst!“ „Alles, was ich will?“ fragte die Fröschin sicherheitshalber nochmals nach. „Alles? Ich darf von Deinem Teller essen und in Deinem Bett schlafen?“ „Alles“ bekräftigte der Prinz erneut, ungeduldig werdend. Die Tränen hatte er sich schon längst heimlich abgewischt, denn Männer weinen ja nicht. „Alles!“ hörte die Fröschin zum dritten Mal, als sie bereits dabei war das Spielzeug vom Grund des Brunnens zu holen. Gar nicht so einfach, so groß und rund wie das Teil war. Aber für „alles“ war sie bereit die letzten Kraftreserven zu mobilisieren, sich so richtig anzustrengen. „Alles“, hallte es in ihr nach.
Mühsam oben angekommen, ließ sie den Fußball, die große Kugel, über den Rand auf den Prinzen zurollen. Und dieser grabschte nach dem Ding und lief weiteres Wort davon. Da saß sie nun, die Fröschin, und sah dem jungen Mann nach.
Mühsam machte sie sich auf den Weg zum Schloss, um Teilhabe einzufordern. Denn so war es im Grundgesetz des Landes, in dem sie seit Jahrzehnten lebte, seit 1949 vorgesehen. Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Er, der Prinz, Mann. Sie, die Fröschin, Frau.
Am Mittag des nächsten Tages hatte sie endlich das Schloss erreicht. Ja, Gleichberechtigung ist ein sehr mühsamer Weg! Sie klopfte an. Laut und deutlich. Als Jüngster an der Tafel des Königs musste der Prinz das Schlosstor öffnen, denn die Lakaien hatten ihren freien Tag. Widerwillig ließ er sein Essen auf dem goldenen Teller stehen, schlurfte zur Tür, öffnete sie ein kleines bisschen, guckte sich um und schloss sie wieder. Niemensch zu sehen. „Fehlalarm“ rief er Richtung des großen Saals und machte sich auf den Rückweg.
„Hier bin ich“, hörte er eine laute Stimme rufen kurz nachdem es wieder am Schlosstor geklopft hatte. Der Prinz kehrte um, ging gemächlich zum Tor zurück, öffnete erneut und sah die Fröschin vor sich sitzen. Dieses Mal war sie schlauer, hatte sich mental vorbereitet und gelangte mit einem großen Hüpfer ins Schloss. Zielstrebig bewegte sich sie auf den Prinzen zu und hinter ihm her. Dieser war fassungslos. Die fette, alte Fröschin hatte er nicht erwartet. Nicht hier. Nicht im Schloß. Nicht so nah.
„Was ist los“ fragte der König streng. „Sag mir, wer begehrte Einlass? Noch um diese Zeit?“ Der Prinz, so im Mittelpunkt stehend, fing an zu stammeln und die Geschichte mit dem Fußball und dem Versprechen zu erzählen. Währenddessen näherte sich die Fröschin dem Mittagstisch. „Heb mich hoch und lass mich von Deinem Teller essen“, forderte sie den Prinzen auf.
‚Lass mich von Deinem Teller essen.‘ Der Prinz schüttelte sich. An so konkrete Teilhabe hatte er nicht gedacht. Die Fröschin konnte doch nicht von seinem Teller essen. Von einem anderen Teller vielleicht, aber doch nicht von seinem Lieblingsteller. Sogar sein Name war eingraviert. Er ekelte sich und sagte nur ein Wort „Nein!“
„Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen“ erwiderte die Fröschin bestimmt. Sie wandte sich der Prinzenmutter zu, die bisher nur stumm zugesehen hatte. „Stimmt das?“, fragte sie ihren Sohn streng. „Hast Du das wirklich versprochen?“ „Ja, aber…“ „Dann soll es so sein“, bestimmte sie.
Im wahren Leben ist die höhere Instanz natürlich nicht die Mutter des Prinzen, sondern im Regelfall das Bundesverfassungsgericht, welches den Fröschinnen, den Froschköniginnen, die versprochene Teilhabe auch gegen erheblichen Widerstand ermöglicht. Und durch ein einfaches Machtwort wird auch längst nicht garantiert, dass nun beide, Männlein wie Weiblein vom selben Teller essen (müssen). Manchmal isst der Prinz auch einfach von einem anderen Teller.
Und wenn sie nicht gestorben ist, dann, ja dann kämpft die Froschkönigin noch immer um ihr Recht. Um ihren Platz im königlichen, behaglichen Bett. Ohne spätere Zwangsheirat, denn da war ja noch was mit an die Wand klatschen und wunderschöne Prinzessin sein und so.
Nein, Fröschinnen heiraten Prinzen schon längst nicht mehr nach dem ersten Kuss und ohne garantiertem Zugriff auf die königliche Schatztruhe!
Früher war halt immer alles besser. Aber nur für den Prinzen, nicht für die Fröschin.